Stadtweites Erinnerungskonzept zum Umgang mit Hamburgs kolonialem Erbe
29. Mai 2024
Von: Natahlie Heitplatz
Bachelorstudentin Geographie

Auf dem Bild ist das Chilehaus in der Speicherstadt zu sehen, gebaut von dem Hamburgischen Magnat Henry Brarens Sloman. "Gleichzeitig erzählt das Haus eine transkontinentale Geschichte, die nicht erwähnt wird: Es bildet einen kolonialen Erinnerungsort in der Stadt und dient als Denkmal für die Wege des Extraktivismus, die nach Hamburg führten. Das Chilehaus steht symbolisch für die deutsche koloniale Expansion jenseits der sogenannten Schutzgebiete."
Noch im Frühjahr musste der Senat auf eine große Anfrage der LINKEN antworten, die kritische Fragen hinsichtlich des verzögerten Prozesses der Dekolonisierung in Hamburg an den Senat stellten. Im Mai 2024 erschien dann das langersehnte Erinnerungskonzept der Senatskanzlei „Hamburg dekolonisieren!“ zum Umgang mit Hamburgs kolonialem Erbe und seinen gesellschaftlichen Folgen. Der Fokus des Konzeptes liegt auf neuen Formen der Erinnerungskultur und -arbeit, wie der Titel ahnen lässt. Es benennt einerseits bisherige Maßnahmen, Akteur:innen und Arbeitsfelder und zeigt andererseits zukünftige Handlungsbedarfe und Möglichkeiten auf. Es versteht sich in seiner hier vorliegenden Form zunächst als einen Zwischenstand und es wird hervorgehoben, dass in einigen Bereichen im Laufe der nächsten Jahre noch Lücken zu füllen seien.
Zivilgesellschaftliches Engagement und der Weg zur Dekolonisierung in Hamburg
Vorweg wird das zivilgesellschaftliche Engagement betont, welches die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und der postkolonialen Gegenwart initiierte. Ohne die Bemühungen der Zivilgesellschaft stünde der Dekolonisierungsprozess noch an einem anderen Punkt und der Zivilgesellschaft sei zu danken für all das, was bisher in Hamburg bewegt wurde. Nun ist es allerdings Zeit, dass auch der Senat konkrete Beschlüsse fassen und zum Dekolonisierungsprozess beiträgt. Durch die wahnsinnige Breite des Dekolonisierungsbegriffs, muss für die Benennung von Maßnahmen zunächst ein zugrundeliegendes Verständnis des Begriffes definiert werden. Dekolonisierung wird im Papier als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe definiert, „die darauf abzielt, rassistische und auf kolonialen Stereotypen basierende Haltungen und Strukturen abzubauen sowie ausgrenzende und diskriminierende Verhältnisse zu beseitigen“. Dabei wird betont, dass dieser Prozess nur in Zusammenarbeit mit Black, Indigenous and People of Colour (BIPoC)-Communities durchgeführt werden kann. Außerdem werden Aspekte rund um die soziale und globale Gerechtigkeit aufgegriffen, indem eine Verbindung von Dekolonisierung mit der Förderung von Diversität und Diskriminierungssensibilität hergestellt wird. Maßnahmen, die sich der Dekolonisierung annehmen, müssen somit in verschiedenen Handlungsfeldern verankert werden.
Handlungsfelder auf Grundlage des Eckpunktepapiers
In Anlehnung an das Eckpunktepapier für ein dekolonisierendes Erinnerungskonzept, welches vom Beirat zu Dekolonisierung im Jahr 2021 vorgestellt wurde, verfolgt das Konzept der Senatskanzlei folgende übergeordnete Ziele:
- Die interdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und seinen Folgen intensivieren.
- Das Wissen zu Kolonialismus und seinen Folgen in die gesamte Gesellschaft vermitteln.
- Würdige Formen und Orte des dekolonisierenden Erinnerns und Gedenkens entwickeln und Prozesse einer gemeinsamen Dekolonisierung kolonialgeschichtlich belasteter Orte und Institutionen fortführen.
- Den Dialog um Anerkennung von kolonialem Unrecht im Rahmen der Möglichkeiten aktiv vorantreiben und zur Versöhnung beitragen.
- Durch Empowerment und Partizipation der Zivilgesellschaft, insbesondere der BIPoC-Communities, sowie durch Zusammenarbeit mit Menschen aus ehemals kolonisierten Ländern einen Perspektivwechsel in der postkolonialen Erinnerungskultur erreichen.
Zu umsetzenden Maßnahmen
Im Anschluss werden die künftigen Maßnahmen für einen Perspektivwechsel des postkolonialen Erinnerns beschrieben. Zunächst wird hier die Stärkung der Partizipation der Zivilgesellschaft aufgeführt, zu dem der Runde Tisch, der Beirat zur Dekolonisierung Hamburgs oder den Senatsdialog zu Diskriminierung und Anti-Schwarzem Rassismus gehören. Hierzu soll außerdem eine hauptamtliche Koordinierungsstelle „Hamburg Dekolonisieren!“ eingerichtet werden, die möglichst bei einer Stiftung oder einem bereits bestehenden zivilgesellschaftlichen Träger angesiedelt werden soll. In ihrer inhaltlichen Arbeit soll diese unabhängig vom BKM sein und zu einer stärkeren Professionalisierung und Verstetigung zivilgesellschaftlicher Strukturen beitragen. Die Koordinierungsstelle soll durch den Transfer von Expertise die Hamburger Behörden bei Bedarf in den Handlungsfeldern der Senatsstrategie unterstützen und für Austausch und Kooperation zur Verfügung stehen.
Weitere geplante Maßnahmen sind in den folgenden Bereichen geplant oder empfohlen:
- Dekolonisierung in Politik, Verwaltung und Institutionen voranbringen
- Neue Konzepte zum Umgang mit kolonialen Orten umsetzen
- Neue Vermittlungsangebote in den Museumsstiftungen etablieren
- Aktivitäten von Bund und Ländern sowie internationale Projekte unterstützen
Wir begrüßen das vorgelegte Erinnerungskonzept der Senatskanzlei und blicken gespannt auf die Umsetzung der vorgestellten Maßnahmen. Es ist wichtig, dass der Dekolonisierungsprozess nicht allein von der Zivilgesellschaft getragen wird und der Senat seine Verantwortung anerkennt. Wir hoffen, dass die vielfältige Arbeit, die die Zivilgesellschaft bisher geleistet hat, anerkannt und weiter gestärkt und dass sich dies auch in den Förderstrukturen widerspiegeln wird. Vor allem muss aber auch den Stimmen Gehör geschenkt werden, die durch den (Post-)Kolonialismus diskriminiert und marginalisiert wurden und weiterhin werden. Nur so kann der Weg zu einer Dekolonisierung Hamburgs eingeschlagen werden.
Das Erinnerungskonzept kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.hamburg.de/contentblob/18667412/c263d1247a3646a1498df571e1fcc624/data/d-koloniales-erbe-erinnerungskonzept.pdf