Rückblick: Decolonize Polizei

17. September 2024

Von: Sonia Octavio

Fachpromotorin Dekolonisierung

Bild vom Panel von links nach rechts: Simon, Daniel, Nadja, Kalina. Im Hintergrund eine PowerPoint Präsentation an die Wand ausgestrahlt.

Fotografiert von: Sonia Octavio

Eine Podiumsdiskussion am 09.09.2024 in Kooperation mit dem GWA St. Pauli.

»Decolonize Polizei« ist das überhaupt möglich? Diese und weitere Fragen haben uns bei der dritten Veranstaltung Decolonize Polizei?! – Kolonialismus und Kontrolle: Die Rolle der Polizei in der kolonialen Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt. Mit Simon Mougnimben, Daniel Manwire, Nadja Maurer und Kalina Magdzinska als Moderatorin haben wir beleuchtet, wie koloniale Kontinuitäten in der Polizei sichtbar sind und welche Maßnahmen notwendig sind, um dieses Unrechtssystem anzugehen.

Wo genau stecken eigentlich die historischen Verbindungen?

Es ist klar, dass das heutige Polizeisystem viele Spuren aus der Kolonialzeit aufweist. Ein direkter Zusammenhang zur Hamburger Polizei ist jedoch schwer zu erkennen und lässt sich nur schwer rekonstruieren. Nadja hat darauf hingewiesen, dass die Kolonialisierung in verschiedenen Regionen unterschiedlich verlief. Die heutige Polizei war nicht direkt an diesen kolonialen Prozessen beteiligt; vielmehr wurden viele Polizisten aus britisch-indischen Truppen oder durch militärische Schutztruppen rekrutiert.

Ein zentraler Aspekt dieser Diskussion ist das Konzept der Kolonialität, das sich nicht nur auf historische Ereignisse beschränkt, sondern auch eine bestimmte Denkweise umfasst – ein expansives Verlangen nach Kontrolle und Hierarchisierung. In diesem Kontext sollte auch Osteuropa als Teil der kolonialen Betrachtung einbezogen werden.

Daniel betont, dass es mehr Forschung in der Hinsicht braucht und dass er die Kolonialität darin sieht, wie koloniale Bilder und Vorstellungen in den Köpfen der Menschen bestehen bleiben. Diese Vorstellungen werden unter anderem durch die Präsenz von Kolonialität im öffentlichen Raum weitergetragen und in Institutionen, wie die Polizei, reingetragen.

Gestaltungsmacht in der Polizei: Herausforderungen und Perspektiven

In der Diskussion über die Gestaltungsmacht innerhalb der Polizei wird deutlich, dass starre Hierarchien oft wie ein unüberwindbarer Widerstand wirken. Nadja beschreibt, wie diese festen Strukturen es schwierig machen, Veränderungen voranzutreiben. In einer Institution, in der die eigene Energie und Initiative entscheidend sind, hängen viele Projekte von den einzelnen Personen ab. Diese individuellen Zugänge können Möglichkeiten eröffnen, die sonst nicht gegeben wären. Doch die Umsetzung von Ideen gestaltet sich oft als herausfordernd, da eine hohe Bürokratie und ein langsamer Verwaltungsapparat dem Fortschritt im Weg stehen.

Daniel bringt zur Sprache, dass es nicht einfach ist, in dieser Umgebung zu arbeiten. Besonders in sensiblen Fällen, wie dem von Yaya Jabbi[1], stellt sich die Frage, an wen man sich wenden kann und wie man Veränderungen anstoßen kann. Von außen betrachtet, wird die Polizei häufig nicht als Teil der Lösung in gesellschaftlichen Debatten wahrgenommen.

Simon hebt hervor, dass es für schwarze Menschen eine besondere Bedeutung hat, Teil dieser Institution zu sein. Er sieht seine Rolle als positiven Beitrag zur Polizei, auch wenn er gleichzeitig erkennt, dass der Polizeiapparat stark ist und strukturelle Erfolge oft von spezifischen Projekten abhängen. Jeder Einzelne kann jedoch in seinem Bereich etwas bewirken; der Wandel beginnt im Umgang miteinander.

Kalina spricht darüber, wie herausfordernd es ist, in einer überwiegend weißen Struktur immer wieder die Erste zu sein. Diese Erfahrung führt oft zu einer Form der Tokenisierung – Simon beschreibt dies als eine große Last. Er stand oft vor der Frage: Wo will ich hin? Der innere Kampf zwischen seiner Rolle als Polizeikollege und Bürger sowie seiner Zugehörigkeit zur Community war sehr spürbar. Es ist ein Prozess des Wachsens und des Verweilens in dieser Arbeit – eine Herausforderung, die sowohl persönliche als auch berufliche Dimensionen umfasst.

Maßnahmen für ein Dekoloniales Polizeisystem

Um die Dekolonisierung der Polizei in Hamburg voranzutreiben, haben die Panelist*innen verschiedene Maßnahmen definiert, die auf die bestehenden kolonialen Kontinuitäten und rassistischen Strukturen abzielen:

  • Ein erster Schritt besteht darin, systematisch zu erfassen, wenn Menschen aufgrund von Rasse kontrolliert werden. Zudem sollte der Paragraf 95[2] des Ausländerrechts abgeschafft werden, um diskriminierende Praktiken zu beenden.
  • Es ist wichtig, dass alle Akteure in ihrem Wirkungsfeld auf koloniale Kontinuitäten hinweisen und das Bild des „gefährlichen Anderen“ aus der Gesellschaft entfernen. Um Rassismus in der Bevölkerung abzubauen, sind Bildungsmaßnahmen notwendig, die insbesondere das Bild des „schwarzen“ jungen Mannes hinterfragen.
  • Eine weitere Maßnahme wäre die Abschaffung der Taskforce zur Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität, da deren Konzept und Haltung oft problematisch sind und ein Feedbacksystem für die Einwohner*innen sollte eingerichtet werden, um Meldungen über mögliche rassistische Vorurteile in der Polizeiarbeit zu erfassen.
  • Anti-Diskriminierungs- und Anti-Bias-Trainings müssen verpflichtend auch nach der Ausbildung durchgeführt werden.
  • Community Policing sollte stets mit den Einwohnenden gedacht werden, um eine inselartige Arbeitsweise zu vermeiden.
  • Besonders gefährdete Gruppen sollten geschützt und das Vertrauen innerhalb der BIPoC-Communities gestärkt werden.
  • Es ist zudem notwendig, verlässliche medizinische Strukturen für mentale Krisen ohne polizeiliche Intervention aufzubauen.
  • Die Diversität innerhalb der Polizei muss aktiv gemanagt werden: BIPoCs und migrantisierte Menschen sollten nicht nur eingestellt, sondern gezielt gefördert werden.

Abschließend ist es von entscheidender Bedeutung, diese Aufgabe als gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu erkennen, die sowohl durch Bildungsmaßnahmen als auch durch politische Prozesse angegangen werden muss. Eine umfassende Reform innerhalb der Polizei ist unerlässlich; Gelder aus bestimmten Bereichen sollten in nachhaltig finanzierte Sozialarbeit umgeleitet werden, um langfristige positive Veränderungen zu bewirken. Politiker*innen müssen zur Verantwortung gezogen werden – sowohl in ihrer Rolle als Aktivist*innen als auch als Entscheidungsträger*innen innerhalb der Polizei.

Der Diskurs sollte dekolonisierend gestaltet werden, da die Wurzeln in kolonisierten Ländern zu Armut, Rassismus und Unterdrückung führen, was wiederum höhere Kriminalitätsraten zur Folge hat. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass nicht die Hautfarbe für diese Kriminalitätsraten verantwortlich ist. Der Abbau von Racial Profiling stellt eine gesellschaftlich und politisch gestaltbare Aufgabe dar, die wir gemeinsam angehen müssen. Wir sind gefordert, an einem menschlichen Umgang innerhalb dieser Machtmatrix zu arbeiten und unser eigenes Wirkungsfeld aktiv zu nutzen. Ob eine Dekolonisierung der Polizei in Deutschland möglich ist, bleibt fraglich; derzeit gibt es keine radikale Alternative zur Umsetzung dieser Ideen. Daher benötigen wir alle Akteur*innen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten – nicht nur im gewohnten Rahmen, sondern auch außerhalb unserer Komfortzone.

Ein großes Dankeschön an alle Teilnehmenden und die Diskussion, die gezeigt haben, dass dieses Thema kontinuierlich sichtbar bleiben muss. Die engagierten Beiträge und unterschiedlichen Perspektiven haben nicht nur das Bewusstsein für die Herausforderungen geschärft, sondern auch den Raum für einen offenen Dialog geschaffen. Es ist entscheidend, dass wir diese Gespräche fortsetzen und vertiefen.

[1] Remember Yaya Jabbi | Initiative in Remembrance of Yaya Jabbi (blackblogs.org)

[2] § 95 AufenthG: Vorladung von der Polizei oder Anklage erhalten? (anwalt-diedrich.de)

Gefördert durch die Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung und Brot für die Welt.

#Koloniale Kontinuität#Verwaltung#Veranstaltung