Koloniale Amnesie: Hamburgs vergessene Geschichte
11. Oktober 2024
Von: Sonia Octavio
Fachpromotorin Dekolonisierung

In der heutigen Zeit wird zunehmend über die Auswirkungen des Kolonialismus auf Gesellschaften und Kulturen diskutiert. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, ist die „koloniale Amnesie“. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, bei dem Gesellschaften oder Individuen die Geschichte und die Folgen des Kolonialismus vergessen oder ignorieren. Dies geschieht sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene und führt oft dazu, dass die negativen Konsequenzen des Kolonialismus – wie Rassismus, Ungleichheit und kulturelle Entfremdung – nicht ausreichend anerkannt oder thematisiert werden.
Hamburg und seine koloniale Amnesie
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für koloniale Amnesie findet sich in der Geschichte Hamburgs. Die Stadt spielte im 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle im transatlantischen Sklavenhandel und profitierte erheblich von kolonialen Aktivitäten. Hamburg war ein wichtiger Hafen für den Handel mit Zucker, Kaffee und anderen Rohstoffen aus den Kolonien. Trotz dieser historischen Verstrickungen wird die koloniale Vergangenheit oft nicht ausreichend gewürdigt.
In vielen Bildungseinrichtungen wird die koloniale Geschichte Hamburgs nur unzureichend behandelt. Schüler*innen lernen häufig wenig über die Rolle ihrer Stadt im Kontext des Kolonialismus, was zu einem Mangel an Bewusstsein über diese dunklen Kapitel der Geschichte führt. Stattdessen wird die Geschichte Hamburgs häufig als eine Erfolgsgeschichte des Handels und der wirtschaftlichen Entwicklung dargestellt, ohne die damit verbundenen moralischen und ethischen Implikationen zu berücksichtigen.
Darüber hinaus gibt es in Hamburg möglicherweise nicht genügend Gedenkstätten oder Denkmäler, die an die koloniale Vergangenheit erinnern oder die Opfer des Kolonialismus würdigen. Diese fehlenden Erinnerungsorte tragen zur kollektiven Amnesie bei und verhindern eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Die Ignoranz gegenüber den sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten, die aus der kolonialen Vergangenheit resultieren, ist ein weiteres Zeichen dieser Amnesie. In aktuellen Diskussionen über Rassismus und soziale Gerechtigkeit werden oft die historischen Wurzeln dieser Probleme nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Auseinandersetzung mit der kolonialen Amnesie in Hamburg ist von großer Bedeutung für das Verständnis der eigenen Identität sowie für den Umgang mit den Folgen des Kolonialismus in der heutigen Gesellschaft. Initiativen zur Aufarbeitung der kolonialen Geschichte könnten dazu beitragen, ein umfassenderes Bild der Stadtgeschichte zu vermitteln und einen Raum für Dialog und Reflexion zu schaffen. Nur durch das Bewusstsein um unsere Vergangenheit können wir eine gerechtere Zukunft gestalten.